Belohnung im Eseltraining - ein fachlicher Überblick
In der tiergestützten Arbeit und im Training mit Eseln wird oft von "Belohnung" gesprochen – doch was genau meinen wir damit eigentlich? Und wie unterscheiden sich dabei Leckerli, Futter, Streicheleinheiten, Bewegung oder der Rückzug aus einer Situation?
Was ist eine Belohnung aus lerntheoretischer Sicht?
Aus Sicht der Lernpsychologie ist eine Belohnung etwas, das ein Verhalten wahrscheinlicher macht. Entscheidend ist dabei nicht, was wir als Mensch als „nett“ oder „wohlgemeint“ empfinden, sondern ob das Tier das gezeigte Verhalten in Zukunft häufiger zeigt.
Lerntheoretisch sprechen wir dabei genauer von Verstärkung. Diese kann auf zwei Arten erfolgen:
- Positive Verstärkung: Ein angenehmer Reiz wird hinzugefügt, z. B. ein Leckerli, eine Streicheleinheit oder das Öffnen eines Tores zur Weide.
→ Der Esel lernt: „Wenn ich X tue, passiert etwas Gutes.“
- Negative Verstärkung: Ein unangenehmer Reiz wird entfernt oder endet, z. B. Druck am Halfter, der aufhört, sobald der Esel einen Schritt vorwärts geht, oder das Verlassen einer unangenehmen Situation.
→ Der Esel lernt: „Wenn ich X tue, hört etwas Unangenehmes auf.“
Beide Formen können ein Verhalten verstärken, sind aber nicht dasselbe wie eine Belohnung im umgangssprachlichen Sinne. Insbesondere das Beenden einer herausfordernden Situation empfinden wir Menschen oft als „Erleichterung“ oder „Fairness“ – lerntheoretisch ist dies jedoch keine Belohnung, sondern eine negative Verstärkung.
Warum ist diese Unterscheidung wichtig?
Wenn wir den Esel gezielt in seinem Lernprozess unterstützen wollen, ist es wichtig zu wissen, warum ein Verhalten häufiger gezeigt wird. Ein Tier, das aus Angst oder Unwohlsein handelt, um unangenehme Situationen zu vermeiden, zeigt kurzfristig vielleicht ein gewünschtes Verhalten – langfristig leidet aber das Vertrauen.
Gerade in der tiergestützten Arbeit, in der Esel als aktive Partner agieren sollen, ist es daher essenziell, positive Verstärkung und freiwilliges Verhalten in den Mittelpunkt zu stellen.
Funktionale Verstärker – was möchte der Esel wirklich?
Im Training mit Eseln zeigt sich immer wieder: Nicht jede vermeintliche „Belohnung“ wirkt bei jedem Tier gleich. Was für den einen Esel ein echter Anreiz ist, lässt den anderen vollkommen unbeeindruckt. Deshalb sprechen wir im modernen Training nicht einfach nur von „Belohnung“, sondern präziser von funktionalen Verstärkern. Gemeint sind damit Reize, die in einer konkreten Situation tatsächlich dazu führen, dass ein Verhalten häufiger gezeigt wird – unabhängig davon, ob wir als Menschen diesen Reiz „wertvoll“ finden oder nicht.
Warum funktionale Verstärker so wichtig sind
Im Gegensatz zu klassischen Trainingsansätzen, bei denen etwa Leckerli als Standardbelohnung eingesetzt werden, orientiert sich die Arbeit mit funktionalen Verstärkern an den Bedürfnissen, Vorlieben und der Motivation des einzelnen Tieres. Das bedeutet:
- Es zählt nicht, was wir geben – sondern ob das Tier es haben möchte.
- Ein funktionaler Verstärker muss zielgerichtet und wirksam sein.
- Das Verhalten des Esels gibt uns die Antwort: Wird es häufiger gezeigt, war der eingesetzte Reiz ein funktionaler Verstärker.
Typische funktionale Verstärker bei Eseln
Esel unterscheiden sich in ihrer Motivation oft deutlich von Hunden. Während viele Hunde durch Futter, Spiel oder soziale Interaktion motivierbar sind, reagieren Esel häufig auf andere, subtile Reize. Mögliche funktionale Verstärker im Eseltraining sind:
- Futter: Ja, auch bei Eseln kann Futter ein effektiver Verstärker sein – allerdings nicht bei allen. Zudem muss man auf Sättigung, Gesundheitszustand und Futterwert achten. Ein besonders schmackhaftes, selten gegebenes Leckerli kann hochwirksam sein, ein trockenes Brötchen dagegen völlig uninteressant.
- Bewegung: Esel, die länger an einem Ort gestanden haben oder in Situationen mit starker Kontrolle (z. B. Führtraining) waren, empfinden die Erlaubnis zur Fortbewegung als sehr belohnend. Die Möglichkeit, einen Weg weiterzugehen, kann für viele Esel ein funktionaler Verstärker sein – besonders in Wander- oder Hindernistrainings.
- Abstand / Rückzug: Gerade in stressreichen, engen oder sozialen Situationen ist es für Esel besonders wertvoll, Abstand gewinnen zu dürfen. Die Möglichkeit, sich zurückzuziehen oder einen Menschen auf Distanz zu halten, kann das Verhalten stärken, das dem vorausgeht (z. B. Blickkontakt statt Ausweichen → Mensch tritt zurück).
- Orientierung / Überblick: Esel als Herdentiere mit ausgeprägtem Bedürfnis nach Übersicht bevorzugen oft Standorte mit Weitblick. Der Zugang zu einem Punkt mit Überblick oder Lichtung kann für den Esel deutlich attraktiver sein als ein Leckerli.
- Wahlfreiheit / Kontrolle: Auch das Gefühl, eine Situation mitgestalten zu dürfen, ist ein funktionaler Verstärker. Wenn der Esel z. B. zwischen zwei Wegen wählen darf oder entscheiden kann, ob er auf ein Podest geht oder nicht, zeigt er oft höhere Kooperationsbereitschaft im weiteren Verlauf des Trainings.
- Geistige Stimulation: Esel sind intelligent und neugierig – sie profitieren stark von Aufgaben, bei denen sie mitdenken, Lösungen finden oder mitgestalten dürfen. Die Lösung eines Problems, das Öffnen einer Kiste, das Finden eines versteckten Objekts oder das Erkunden einer neuen Umwelt kann an sich schon verstärkend wirken. Manche Esel zeigen nach Phasen kognitiver Aktivität eine höhere Motivation, freiwillig weiterzuarbeiten.
Wie finde ich den passenden funktionalen Verstärker?
Die wichtigste Fähigkeit der menschlichen Bezugsperson ist hier: genau beobachten. Dazu gehört:
- Was macht der Esel freiwillig?
- Welche Situationen sucht er aktiv auf – welche meidet er?
- Wie verändert sich sein Verhalten, wenn ein bestimmter Reiz auftritt oder wegfällt?
Nicht jeder Verstärker ist immer gleich wirksam. Futter kann bei Hunger hochwirksam sein, bei Sättigung bedeutungslos. Abstand kann einmal entlasten, aber in anderen Momenten zur Isolation führen. Es ist daher essenziell, situationenspezifisch zu denken, das Training anzupassen und gegebenenfalls Alternativen bereitzuhalten.
Individuell, situativ und beziehungsorientiert
Die Arbeit mit funktionalen Verstärkern bedeutet nicht, auf klassische Belohnungen wie Futter zu verzichten – sie bedeutet, gezielter, differenzierter und partnerschaftlicher zu trainieren. Ein Esel, der versteht, dass seine Signale gehört und seine Bedürfnisse ernst genommen werden, wird sich eher auf das Training einlassen. Gleichzeitig stärkt die Arbeit mit funktionalen Verstärkern das Vertrauen zwischen Mensch und Tier, da sie auf Freiwilligkeit und positiver Verstärkung basiert – nicht auf Druck, Zwang oder Überforderung.
Beispiele:
- Für Esel A ist in stressfreien Situationen ein Leckerli ein Verstärker.
- Esel B zieht sich in stressigen Situationen lieber zurück – ihm ist Abstand von Menschen ein funktionaler Verstärker.
- Für Esel C kann Bewegung nach vorn (statt Stillstand) in unangenehmen Situationen ein Verstärker sein.
- Wenn ein Esel am Wegesrand fressen möchte, aber brav am Strick mitläuft, ist die Erlaubnis zum Fressen die beste Belohnung überhaupt. → Wichtig ist also Beobachtung, Individualität und Flexibilität. Eine Standardbelohnung gibt es nicht.
Besonderheiten im Vergleich zu Hunden
Esel unterscheiden sich in vielen Punkten von Hunden, unter anderem durch:
- ihre andere Sozialstruktur (lose Gruppenbindung),
- ihre vorsichtige, abwartende Natur,
- ihren geringeren Spieltrieb,
- ihre andere Reaktivität auf Reize (z. B. Lärm, Druck, Bedrängung).
Das heißt aber nicht, dass sie nicht lernen oder kooperieren möchten – sondern dass sie andere Bedingungen brauchen. Leckerli können (je nach Esel) genauso gut funktionieren wie beim Hund – wenn sie als Verstärker wahrgenommen werden. In vielen Fällen sind es jedoch andere Reize (z. B. Bewegung, Weitblick, Kontrolle über Abstand), die wirkungsvoller sind.
Fazit: Belohnung heißt Verstärkung – und die ist individuell
Wer mit Eseln arbeitet, braucht ein gutes Gespür für deren Bedürfnisse und eine solide Kenntnis lerntheoretischer Grundlagen. „Belohnung“ ist kein fixer Begriff, sondern beschreibt im Training einen gezielten Einsatz von Reizen, die ein Verhalten häufiger auftreten lassen. Dabei sind sowohl positive als auch funktionale Verstärker hilfreich – immer unter Berücksichtigung von Tierwohl, Freiwilligkeit und Beziehung.